Donnerstag, 9. Dezember 2010

Vaters Vater

Meine Mutter hat vier Kinder allein groß gezogen. Meine kleinste Schwester war gerade ein Jahr alt als meine Mutter plötzlich mit uns alleine da stand.
Was ich lange nicht wusste war, dass auch mein Vater seinen Vater früh verloren hat. Es war Walter Redlich, gestorben 1945. Für uns war er nur eine Erinnerung durch die Inschrift auf dem Grabstein. Als er starb war mein Vater erst 16 Jahre alt.
Walter Redlich 1899 - 1945
Bei meinen Nachforschungen stellte ich fest, dass mein Grossvater nicht in Russland gefallen war. Durch eine Recherche beim Volksbund deutsche Kriegsgräberfürsorge fand ich heraus, dass seine Ruhestätte bekannt und an der französichen Kanalküste, nicht weit entfernt von Mont St. Michel liegt. Er starb am 6. August 1945, also drei Monate nach Ende des Krieges, in französischer Kriegsgefangenschaft wahrscheinlich an den Folgen der Bedingungen in den Lagern. An diesem Tag warfen die USA auch die erste Atombombe auf Hiroshima.
Als ich in diesem Jahr sein Grab in der Kriegsgräberstätte in Mont-de-Huisne besuchte, war ich auf den Tag genauso alt wie er, als er starb: 46 Jahre, 2 Monate und 22 Tage. Es gibt keine Zufälle.


Mont de Huisne
Gruft 12
Grabkammer 131
Das Totenbuch
Beim Gang durch die Anlage und beim Blättern durch das Totenbuch viel mir auf, dass sehr viele der hier beerdigten Soldaten über 40 Jahre alt waren, wahrscheinlich Familienväter genau wie mein Opa. Sie waren Hitlers letztes Aufgebot im Westen, nach der Landung der Allierten in der Normandie. Die Jugend war oft schon auf den Schlachtfeldern im Osten gefallen.
Um mehr über meinen Grossvater zu erfahren habe ich auch eine Brief an die WAST oder auch "Deutsche Dienststelle für die Benachrichtigung der nächsten Angehörigen von Gefallenen der ehemaligen deutschen Wehrmacht" geschrieben. Bei der WAST in Berlin werden alle alten Unterlagen  der Wehrmacht aufbewahrt. Nach fast einem Jahr Wartzeit erhielt ich Antwort, zwei DIN A4 Seiten militärischer Lebenslauf meines Grossvaters.
  • Erkennungsmarke -6684- St.Kp. F.E.B. 39 (Stammkompanie Füsilier Ersatz Bataillon 39) in Goch
  • Eingezogen wahrscheinlich Ende 1943 (mein Vater war 14 Jahre alt)
  • Ab 1944 im Sicherungs-Bataillon 315, dies wurde in Radom (PL) eingesetzt, die deutsche Rüstungsindustrie betrieb dort u.a. ein Arbeitslager mit polnischen Gefangenen. Es kann also sein, dass mein Opa zur "Sicherung" des Lagers eingesetzt wurde.
  • Im Januar 1945 wurde die Einheit beim Einmarsch der Roten Armee aufgerieben, überlebende Soldaten flüchteten über Kutno in nordwestlicher Richtung und wurden wahrscheinlich anschliessend an der Westfront eingesetzt. Dort muss er in Gefangenschaft gekommen sein. Die näheren Umstände sind mir bislang nicht bekannt.
  • Die Bedingungen in den Lagern waren alles andere als gut. Möglich wäre es auch, dass er zunächst in amerikanischer Gefangenschaft in einem der berüchtigten Lager am Rheinufer war. Die Amerikaner haben später die Lager an die Franzosen übergeben. Da die Franzosen selber fast nichts zu essen hatten, kann man sich vorstellen, wie viel für die verhassten Deutschen übrig blieb.
  • Laut WAST starb mein Opa im Hospital für Kriegsgefangene in Rennes infolge eines natürlichen Todes
  • Die Meldung über seinen Tod erreichte Münster erst im April 1947 - vier Jahre wusste seine Familie also wahrscheinlich nicht, was aus ihm geworden ist und ob er noch lebte.
Bei der Suche nach Informationen über meinen Grossvater fand ich im Internet eine Seite von Franzosen über die Lager in und um Rennes zum Ende des Krieges. In den langen Listen die von den ehrenamtlichen Mitarbeitern geführt werden, stehen auch die Daten meines Vaters. Nachdem ich Kontakt aufgenommen hatte zum Webmaster wurde sogar ein Foto meines Grossvaters ergänzt.
Der Verein in Frankreich bemüht sich darum, die Geschichte der Lager aufzuarbeiten. Hier der Link zur Seite (einiges in deutsch - viel aber auf französisch geschrieben)