Sonntag, 5. Dezember 2010

Der Name auf dem Grabstein

Mein Vater wurde auf dem Mauritz-Friedhof beerdigt. Es gibt Fotos vom Tag der Beerdigung mit zahlreichen Kränzen auf dem frischen Erdhügel. Ich erinnere mich an nichts. Einige Zeit später wurde der Grabstein aufgestellt. Dort stand, in weissen Buchstaben sein Name: Wolfgang Redlich; und seine Lebensspanne: 1929 bis 1969.
Am unteren Rand des Grabsteins wurde ein weiterer Name angebracht: Walter Redlich, 1899 bis 1945, zusätzlich zum Sterbejahr mit dem Eisernen Kreuz versehen.


Als Kinder waren wir oft mit unserer Mutter auf dem Friedhof, haben das Grab gepflegt, den schmalen Weg runterherum geharkt und den Grabstein vom Vogeldreck gereinigt. Irgendwann werde ich sicher angefangen haben zu fragen: 'Mama, wer ist denn dieser Walter Redlich?'. Es war mein Grossvater und es hies, er sei im Zweiten Weltkrieg in Russland geblieben. Russland, das kannte ich als Kind schon. Dort war der Krieg verloren gegangen, in dieser schrecklichen Schlacht von Stalingrad. Opa war also auch bestimmt irgendwo dort gestorben und es gab kein richtiges Grab, so wurde sein Name zur Erinnerung nun auf diesem Grabstein erwähnt.
Vorher hatte ich mich nie darüber gewundert, dass ich zwar eine Oma Redlich, aber keinen Opa hatte. Auch gab es keine Oma und Opa auf Seiten meiner Mutter.
Damals war das alles für mich unverständlich. Später gab es dann eine 'Oma Stehrweg' die wir deshalb so nannten, weil sie auf dem Stehrweg wohnte, und wir wussten auch, dass sie nicht die 'richtige' Mutter unserer Mutter war, sondern sie nach dem Krieg angenommen hatte. Einzelheiten interessierten uns damals als Kinder nicht.
Unsere Oma Redlich starb nur drei Jahre später während ich auf einer Kur im Sauerland war, als ich wieder zurück war, hatte die Beerdigung schon stattgefunden und sie lag jetzt im gleichen Grab wie mein Vater und ihr Name wurde ebenfalls in den Grabstein eingetragen.
Jetzt lebten also nur noch der Bruder und die beiden Schwestern meines Vaters. Leider brach der Kontakt zu diesem Teil der Familie nach dem Tod meines Vaters vollständig ab. Meine Mutter hat immer erzählt, sie hätten ihr die Schuld am Tod unseres Vaters gegeben und deshalb hätte sie keinen Kontakt mehr haben wollen.
Genau wie ich hatte mein Vater drei Geschwister, sie waren zwei Jungs und zwei Mädchen, genau wie bei uns.
Erst jetzt, vierzig Jahre später habe ich mir Gedanken gemacht, wie es wohl für meinen Vater war, als er mit 16 Jahren seinen Vater verloren hat, im Krieg gefallen. Ich wusste nichts darüber - die Geschwister waren jetzt auch alle Tod, teilweise wurden sie im gleichen Grab wie mein Vater beerdigt. Niemand konnte mir etwas erzählen. Es gab keinen Kontakt zu Cousins oder Cousinen, meine Mutter war alles andere als gesprächig zu diesem Thema und wenn, gab es oft widersprüchliche Auskünfte.
Eine zunehmende innere Unruhe hat mich dann veranlasst mit Nachforschungen zu beginnen. Ich wollte mehr wissen über meinen Vater, seine Familie, aber auch die Familie meiner Mutter. Ich habe angefangen zu suchen und tatsächlich gab es jede Menge zu erfahren.